Rubens und seine Schüler

Rubens und seine Schüler
Rubens und seine Schüler
 
Noch heute kann man in Antwerpen das Haus besichtigen, das Peter Paul Rubens mit seiner Familie (seit etwa 1615) bewohnte. Nach dem Vorbild italienischer Adelspaläste gestaltet, zeigt es sich als Residenz eines der größten »Malerfürsten« aller Zeiten und als Symbol dessen, was als »Goldenes Zeitalter« der niederländischen Kunst gilt.
 
Die Niederlande existierten im 17. Jahrhundert freilich nicht mehr in ihrer alten Form. Mit dem Freiheitskampf gegen Spanien hatten die nördlichen Provinzen, die man auch als »Holland« bezeichnet, am Ende des 16. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit und eine republikanische Verfassung errungen. Der weitgehend mit dem heutigen Belgien identische Süden - das Herzogtum Brabant und die Grafschaften Flandern, Artois und Hennegau - blieb dagegen noch bis 1714 unter spanischem Regiment. Im Gegensatz zum kalvinistischen Norden wurde in diesen flämischen Regionen die katholische Kirche wieder zur entscheidenden Trägerin von Staat und Gesellschaft: Über 1500 Ordensmitglieder in rund 50 Niederlassungen - mehr als in jedem anderen europäischen Land - machten die flämischen Provinzen im frühen 17. Jahrhundert zu einer Hochburg der Jesuiten. Systematisch baute die »Societas Jesu« die südlichen Niederlande zur Operationsbasis für den geistlichen Kampf um den abgefallenen Norden, die Rheinlande, Niederdeutschland und England aus. Neben den religiösen Anliegen wurden Erziehung und Wissenschaft ebenso zu ihrer Domäne wie die Förderung kirchlicher Kunst.
 
Der Barock, dem sich die Kunst der nördlichen Niederlande, die weniger von italienischen Vorbildern geprägt wurde, weitgehend verschloss, wurde in den südlichen Provinzen von Hof, Kirche und Orden gleichermaßen gefördert; er geriet hier zum Zeitstil schlechthin und fand als Ausdruck der »Ecclesia triumphans«, des triumphierenden Katholizismus, eine seiner eindrucksvollsten Verkörperungen. Daran änderte auch der Jansenismus nichts, eine Gegenbewegung, die der Bischof von Ypern, Cornelius Jansen, ins Leben gerufen hatte: Er verfocht eine asketisch-strenge Interpretation des heiligen Augustinus und wurde in der Öffentlichkeit als Kampf nationaler Autonomie gegenüber Spanien und dem Zentralismus Roms verstanden. Die traditionellen kirchlichen und aristokratischen Auftraggeber hatten somit entscheidenden Anteil am Zustandekommen des »Goldenen Zeitalters«, und das, obwohl das Land mit schweren wirtschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert war. Denn das ehemals bedeutende Textilgewerbe erlebte seinen Niedergang, Antwerpen war nach der Schließung der Schelde und der Abwanderung des Welthandels, der dann Holland so großen Gewinn brachte, nur noch ein schwacher Abglanz früherer Größe.
 
Künstlerisch führend war - wie schon in altniederländischer Zeit und in den Jahrzehnten Pieter Bruegels des Älteren - die Malerei. Neben die heimischen Traditionen traten nun Einflüsse der Renaissance und des italienischen Frühbarock - Werke Correggios, Tintorettos, Veroneses und Tizians einerseits, Domenichinos, Francesco Albanis und Guido Renis andererseits. Besonders wichtig wurde ferner die Kenntnis Caravaggios, dessen starke plastische Durchbildung des Körperlichen und dessen eminente Licht-Schatten-Wirkungen etwa der Flame Abraham Janssens aufgriff. Neben den üblichen religiösen Themen - die Altarmalerei blieb, anders als in Holland, bestehen - und der Porträtkunst entwickelte sich eine ausgeprägte Genremalerei mit Landschaften, Bauerndarstellungen, Stillleben, Tierbildern und Innenansichten von Gemäldegalerien, als deren Hauptvertreter man David Teniers den Jüngeren nennen kann.
 
Das Zentrum der flämischen Malerei bildete Antwerpen. Hier war es Peter Paul Rubens, der zum Mentor fast aller seiner Kollegen wurde. 1577 wurde er in Siegen als Sohn eines protestantischen Antwerpener Juristen geboren, der aus Glaubensgründen in der Verbannung lebte. In Köln, wohin die Familie 1578 umzog, erhielt Rubens seinen ersten Unterricht. Nach dem Tod des Vaters kehrte die Mutter mit ihm wieder in ihre Heimatstadt zurück, wo er durch Schule und gesellschaftlichen Umgang feste Wurzeln in der katholischen Glaubenswelt fand. Nach einer frühen Schulung bei dem Landschaftsmaler Tobias Verhaecht arbeitete er mehrere Jahre in der Werkstatt von Adam van Noort, bevor er dann in Otto van Veen, einem führenden Vertreter des »Romanismus«, einer an italienischen Vorbildern ausgerichteten Stilhaltung, einen Lehrer fand. Die nächsten Jahre waren geprägt von höfischen Diensten. Während einer Italienreise wurde Rubens im Jahr 1600 Hofmaler des Herzogs Vincenzo Gonzaga in Mantua, dessen Gönnerschaft ihm auch Studien in vielen anderen italienischen Städten ermöglichte; im Auftrag Gonzagas begab er sich 1603/04 in offizieller Mission an den spanischen Königshof in Valladolid.
 
1608 kehrte Rubens nach Antwerpen zurück, wo er vom spanischen Statthalterpaar, den erzherzoglichen Regenten Albert und Isabella, zum Hofmaler ernannt und mit einem hohen Jahresgehalt ausgestattet wurde. Zahlreiche Aufträge mit religiösen und profanen Themen seitens des Hofes, der kirchlichen Orden und des städtischen Patriziats in Brüssel und Antwerpen stärkten nun seine Position als erster Künstler des Landes, als »Malerfürst« auf internationalem Parkett, der Bestellungen vom Prince of Wales, vom König von Frankreich, von Thomas Howard, Earl of Arundel, von den Wittelsbacher Kurfürsten in München und Düsseldorf, von Genueser Bankiers und spanischen Granden entgegennahm. Dieses riesige Arbeitspensum war allerdings nur mit dem durchorganisierten Manufakturbetrieb seiner Werkstatt zu bewältigen.
 
Die 1620er-Jahre brachten zunehmend diplomatische Verpflichtungen mit sich. Für die malerische Ausstattung des Palais du Luxembourg unter Maria von Medici, der Witwe des französischen Königs Heinrich IV., unternahm Rubens ab 1621 sechs Reisen nach Paris, die zugleich auch politischen Missionen dienten. Seine durch den spanischen Landesherrn 1624 erfolgte Erhebung in den Adelsstand dürfte sich vor allem seinem politischen Verhandlungsgeschick verdanken: Nachdem 1623 eine Verschwörung gegen Prinz Moritz von Nassau-Oranien, den Statthalter der Niederlande, vereitelt worden war, suchten Spanien und England zu einer Verständigung zu kommen, an der Rubens beteiligt war. Ein Aufenthalt in London brachte ihm den Auftrag für die neun Deckengemälde des Banqueting House in Whitehall Palace. Seit dem Tod seiner Frau Isabella Brant (1626) verzichtete Rubens zunehmend auf ein öffentliches Wirken. 1630 heiratete er die 16-jährige Helene Fourment, die aus vermögendem Bürgerhaus stammte. Rubens konnte sich jetzt in Antwerpen den Kauf von sechs Häusern und des schlossartigen Landsitzes Steen mit Parks und Alleen leisten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1640 häuften sich weitere große Aufträge.
 
Rubens' Schaffen weist eine unerhörte Spannweite auf, die von relativ intimen Familienbildnissen wie der »Geißblattlaube« (1609/10), von Porträts und Landschaften zu monumentalen Altarbildern und profanen Allegorien, von einem Architekturbuch über genuesische Paläste zu kunsttheoretischen Illustrationen und Vorlagen für fürstliche Triumphzüge reicht. Realistik verbindet sich in seinen Gemälden mit der sinnlich-lebendigen Schilderung von Pathos und Bewegtheit, eine tief greifende Farb- und Lichtregie steigert die Aussagekraft der Bilder und erweist Rubens als einen der größten Koloristen der Kunstgeschichte. Die Traditionen der klassischen Malerei fasste er in bis dahin unvorstellbarer Synthese zusammen und durchsetzte sie mit der virtuosen Dynamisierung des Barock, die die Grenzen zwischen Welt und Überwelt aufhob. Rubens wurde - wie sein großer Gegenspieler Rembrandt in Holland - zum Lehrer seines Jahrhunderts. Er beschäftigte nicht nur zahlreiche Schüler zur Ausführung, Vergrößerung und Vervielfältigung seiner Entwürfe, sondern ließ auch Stiche anfertigen, die den Vertrieb und urheberrechtlichen Schutz seiner Werke garantieren sollten. Die »Rubensstecher«, darunter als einziger Flame Paulus Pontius, verbreiteten mithilfe des renommierten Antwerpener Verlegers Christophe Plantin die Kompositionen des Meisters nicht nur über ganz Europa, sondern brachten auch neue koloristische Wirkungen in die Grafik ein.
 
Neben Rubens wurde der aus Antwerpen gebürtige Anthonis van Dyck zum wichtigsten Repräsentanten der flämischen Barockmalerei. Bis 1620 ging das »Wunderkind« bei Rubens in die Lehre. Nach einem ersten Aufenthalt in England bereiste van Dyck 1621 Italien, wo er längere Zeit in Genua blieb und die vornehme Gesellschaft porträtierte. 1632 übersiedelte er nach England und wurde dort Hofmaler. Hier entstanden die berühmtesten seiner Bildnisse und die Entwürfe zu drei riesigen Wandteppichen für den Bankettsaal in Whitehall Palace. Van Dycks Stil ist durch eine sehr flüssige Malweise, eine nervöse Pinselführung, ein malerisches Helldunkel und einen Hang zur monumentalen Komposition gekennzeichnet; gegenüber Rubens herrscht ein stärkeres Sentiment vor. Mit dem Typus des repräsentativen Adelsporträts sollte er vor allem die Bildnismalerei im England des 18. Jahrhunderts beeinflussen.
 
Das Dreigestirn der flämischen Malerei komplettiert Jacob Jordaens, der 1618/19 in der Rubenschen Werkstatt arbeitete und nach Rubens' Tod bis zu seinem eigenen Lebensende 1678 als führender Meister der flämischen Barockmalerei gelten darf: Selbst nach seinem Übertritt zum Kalvinismus (1645) erhielt er weiterhin Aufträge für katholische Kirchen. Er pflegte insbesondere die Genredarstellungen und bezog in seine Themen auch das bäuerliche Milieu ein. Das Pathos seiner Bilder ist menschlich erfüllt und in höchster Vitalität vorgetragen.
 
Als bester Tiermaler seiner Zeit galt Frans Snijders, dem sein Schüler Jan Fyt nachfolgte. Jan Wildens verlegte sich auf die Landschaftsmalerei, Daniel Seghers auf Blumenstillleben in der Art seines Lehrers Jan Bruegel des Älteren. Mit Bruegel arbeitete auch Hendrik van Balen, der erste Lehrer van Dycks, zusammen, der sich auf kleine allegorische und mythologische Sujets spezialisierte. Von übernationaler Bedeutung ist auch Gaspar de Crayer, der Hofmaler des spanischen Königs Philipps IV.; von seinen Werkstätten in Brüssel und Gent aus lieferte er Altarbilder in zahlreiche Kirchen und Klöster Europas. Insgesamt gesehen, hatte die flämische Barockmalerei jedoch mit dem Tode von Rubens (1640) und van Dyck (1641) ihren Höhepunkt überschritten.
 
Dr. Norbert Wolf
 
 
Alpers, Svetlana: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Aus dem Englischen. Köln 1985.
 Bauer, Hermann: Barock. Kunst einer Epoche. Berlin 1992.
 
Die Kunst des Barock. Architektur, Skulptur, Malerei, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1997.
 
Die Kunst des 17. Jahrhunderts, bearbeitet von Erich Hubala. Beiträge von Per Bjurström u. a. Sonderausgabe Berlin 1990.
 
Malerei des Barock, herausgegeben von Ingo F. Walther. Beiträge von Andreas Prater und Hermann Bauer. Köln u. a. 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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